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Begeistert, so erinnerte er sich weiter, sei in der großen Menge

außer den ausgesprochenen Nationalsozialisten niemand gewe-

sen. Aber geholfen habe den so Malträtierten auch niemand.

Ganz im Gegenteil setzte man von NS-Seite in Brühl alles daran,

insbesondere die Jüngsten für das Geschehene zu begeistern.

Ein im November 1938 Zwölfjähriger schilderte 1987,

wie er damals mit HJ und Jungvolk nachmittags in

die Brühler Innenstadt marschiert sei, wo die Jungen

„bestimmte Lieder“ hätten singen müssen, „wo drin

vorkam: ‚Schmeißt die Juden raus‘“. Wie an anderer

Stelle zu zeigen sein wird, nahm auch Günther Roos

mit seinen Klassenkameraden die brennende Syna-

goge singend in Augenschein.

Eine solche direkte Einbindung von Kindern und

Jugendlichen in die Geschehnisse beklagte auch

Oberpfarrer Fetten, der in der Pfarrchronik hervor-

hob, die Ereignisse des 10. November hätten sich in

Brühl „besonders böse“ ausgewirkt, „weil Schuljun-

gen daran teilnahmen“. Außerdem hob er hervor, dass

Kinder und Erwachsene die verzweifelte Situation der

jüdischen Bevölkerung ausgenutzt und gestohlen

hätten, „was sie kriegen konnten“. Er habe daher die

Brühler Jugend tags darauf in der Schulmesse

„pflichtgemäß“ ermahnt: „Wer fremdes Eigentum be-

schädigt oder genommen hat, kann nicht die hl. Sak-

ramente empfangen, bis er den Schaden gutgemacht

oder das Eigentum zurückerstattet hat. Wer Freude an diesem

Tun gehabt hat, muss erst seine Gesinnung ändern. Christus ist

auch aus jüdischem Blut. Und der hat gesagt: ‚Du sollst deinen

Nächsten lieben wie dich selbst.‘“ Diese Worte hatten zur Folge,

dass Fetten wieder einmal – und ohne direkte Konsequenzen –

zur Gestapo nach Köln vorgeladen und mit dem Vorwurf kon-

frontiert wurde, „er habe durch seine Worte gegen die Rassen-

auffassung des Staates Stellung genommen“.

So sah also die vorgeblich intakte und harmonische klein-

städtische Welt aus, in der Günther Roos aufwuchs: Das NS-

Regime hatte vor Ort schnell Fuß gefasst und die Bevölkerung

sich zumindest nach außen hin mit der neuen Situation arran-

giert, ohne allerdings auf die gewohnte Einbindung in das

kirchliche Leben und dessen jährliche Hochfeste zu verzichten.

Diese wiederum wurden nicht verdrängt, sondern vom NS-Feier-

kalender ergänzt, sodass man auch in Brühl auf jene so eigen-

tümliche wie weitverbreitete Melange traf, die den NS-Alltag in

vielen Gegenden prägte: Das Leben ging für die meisten Men-

schen „normal“ weiter, man feierte Schützenfest und Kirmes,

der eine ging zum SA-Marsch, der andere zur Fronleichnams-

prozession und sehr viele zu beiden Veranstaltungen.

Die Schulen schwenkten zumindest formal und in ihren Un-

terrichtsinhalten schnell auf die neu vorgegebene Linie um,

während der kirchliche Einfluss auch aus den Klassenzimmern

zusehends verdrängt wurde. Das entging den Heranwachsen-

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Notiz zum Pogrom in Brühl

aus der

Brühler Zeitung

vom 11. November 1938

Die Kleinstadt

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