Table of Contents Table of Contents
Previous Page  67 / 300 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 67 / 300 Next Page
Page Background

Ostern 1935 wechselte Günther, wie vor

ihm bereits sein drei Jahre älterer Bruder

Gustav, auf das Brühler Gymnasium – als

„Spätentwickler“, wie er sich rückblickend

selbst bezeichnete, erst nach dem 5.

Volksschuljahr. Die höhere Schule stellte

damals gemäß seiner Erinnerungen noch

„eine echt elitäre Anstalt“ dar, auf die ihm

nur

vier

seiner

insgesamt

50 Klassenkameraden gefolgt seien. Die

geringe Zahl der Schulwechsler war zeit-

typisch und hatte nicht ausschließlich

ihren Grund in schulischen Leistungen.

Sie war Folge des damals noch zu zahlen-

den Schulgeldes von monatlich 20 Reichs-

mark, das den Besuch des Gymnasiums

zur Frage des sozialen Status machte und

vielen begabten Schülern den Weg zu

weiterführender Bildung versperrte.

Günther zählte nunmehr zu den

Glücklichen, die eine der begehrten Schul-

mützen tragen durften – für ihn als

Sextaner braun und mit einem Silber-

band geschmückt. Durch diese Kopfbe-

deckung war jeder Gymnasiast im klein-

städtischen Alltag sofort als solcher aus-

zumachen. Welcher Stellenwert diesem

Statussymbol gerade in einer überschau-

baren Stadt wie Brühl damals beigemes-

sen wurde, geht allein schon daraus her-

vor, dass Günther Roos bis ins hohe Alter

hinein die jeweilige Kombination von

Mützen- und Bandfarbe für jede einzelne

Klasse präzise zu benennen vermochte

und noch immer bedauerte, dass er auf-

grund der Abschaffung der Schülermüt-

zen durch das NS-Regime nie über die

Farbe braun hinausgekommen sei.

Aber nicht nur die Mützen waren den

neuen Machthabern als Ausdruck von

Standesdünkel ein Dorn im Auge, son-

dern auch die ausgeprägt katholische

Orientierung des Brühler Gymnasiums.

So gab es nach Angaben von Günther

Roos für die höheren Schüler eine eigene

Messe in der Klosterkirche, deren Besuch

genau wie jener der Sonntagsmesse eine

unabänderliche Selbstverständlichkeit ge-

wesen sei. Gleich zu Beginn des Schuljah-

res sei jedem Schüler sein genauer Platz

in der Kirche zugewiesen worden, den er

während jeder dieser Schulmessen einzu-

nehmen hatte. So fiel naturgemäß die

stets drohende Kontrolle der tatsächli-

chen Teilnahme leichter.

Erlebte Günther Roos nach späterem

Bekunden die höhere Schule zunächst

noch als „ein echt humanistisches Gym-

nasium“, so änderte sich das bald grund-

legend. Nachdem im Rahmen der Verein-

heitlichung des höheren Schulwesens mit

dem Schuljahr 1937/38 die „Deutsche

Oberschule“ eingeführt worden sei, habe,

so seine dezidierte Sicht der Dinge, deren

Umwandlung in eine „perfekte national-

sozialistische Erziehungsanstalt“ begon-

nen, was nicht zuletzt auch mit dem –

oben bereits geschilderten – Amtsantritt

des neuen Direktors Bartels zusammen-

gehangen habe. Der 13-jährige Günther

dürfte diesen Wandel, da er ja vom unan-

tastbaren Direktor vorangetrieben wurde

und zu Hause kaum kritisch hinterfragt

worden sein dürfte, als normal und not-

wendig empfunden haben: „Es begann

schon montags mit der Flaggenparade.

Vor Unterrichtsbeginn trat die gesamte

Schule im Innenhof an. Direktor Bartels,

natürlich in Uniform, verlas den Spruch

der Woche – meist ein Führerzitat – und

dann wurde unter Absingen der Natio-

nalhymnen die Hakenkreuzfahne gehisst.“

Auch an einer anderen Äußerlichkeit

sei der weltanschauliche Wandel deutlich

ablesbar gewesen. Habe bis dahin das

Fach „Religionslehre“ stets an erster und

84/

Klassenfoto der katholischen

Brühler Volksschule mit

Lehrer Herber, 1930/31. Günther

Roos in der 2. Reihe, 2. v. r.

85 /

Schulausflug auf den Drachenfels

am 13. Juli 1937. Günther Roos

vorn in der Mitte

86 /

Schulausflug zum Venusberg nach

Bonn im Juli 1938. Günther Roos

vordere Reihe, 2. v. l.

86

Prägungen

65