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Brühl war in den 1930er-Jahren eine recht

beschauliche, zugleich aber auch indust-

riell geprägte Kleinstadt im damaligen

Landkreis Köln, die im Rahmen einer

kommunalen Gebietsreform im Jahr 1932

eine erhebliche Ausweitung erfahren hat-

te. Zählte das Städtchen im Jahr 1925 le-

diglich 11 228 Einwohner, waren es

Anfang 1933 bereits 23 076. In den folgen-

den Jahren sollte sich die Einwohnerzahl

dann nicht mehr gravierend verändern.

Der Ort war wie das gesamte Rheinland

stark katholisch geprägt. Den 19 977 Ka-

tholiken standen lediglich 2 721 (13,6 Pro-

zent) evangelische Christen gegenüber.

Zudem wohnten zu Beginn der NS-Zeit

121 Juden (0,5 Prozent) in Brühl.

Weimarer Jahre

Der konfessionellen Zusammensetzung

entsprachen die politischen Kräfteverhält-

nisse in Brühl, mit der katholischen Zent-

rumspartei als eindeutig dominierender

Kraft.

¹⁵

Weil die Stadt als Standort von

Braunkohlegewinnung und Brikettpro-

duktion sowie größerer Betriebe der Me-

tallindustrie einen hohen Arbeiteranteil

aufwies, erzielten aber auch SPD und KPD

beachtliche Stimmenanteile. Während die

Sozialdemokraten bei den Reichstagswah-

len 1924 und 1928 rund 23, die Kommunis-

ten 13 Prozent der Stimmen erhalten hat-

ten, kehrte sich dieses Verhältnis ab 1929

im Zuge von Wirtschaftskrise und damit

einhergehender politischer Radikalisie-

rung um. Bei der Kommunalwahl am 15.

Januar 1933 stimmten 23,4 Prozent der

Brühler für die KPD, während die SPD auf

13,9 Prozent zurückfiel. Auch das Zentrum,

zuvor bei Wahlen mit Lokalbezug regel-

mäßig mit mehr als 50 Prozent der Stim-

men bedacht, büßte bei dieser Wahl er-

heblich an Zustimmung ein und kam nur

noch auf 39,2 Prozent.

Brühl, so heißt es, habe in Zeiten der

Weimarer Republik den Eindruck einer

harmonischen Kleinstadtidylle vermittelt,

in der die Menschen weitgehend konflikt­

frei miteinander umgegangen seien.

¹⁶

Die

Welt schien hier also zu Beginn der

1930er-Jahre ungeachtet der Wirtschafts-

krise und politischer Radikalisierung

weitgehend „in Ordnung“. Dies galt nicht

zuletzt für die Uhlstraße, die „gute“ Stra-

ße der Stadt, die auch im Leben von Gün-

ther Roos eine wichtige Rolle spielte. Hier

befand sich das mittelständisch geschäf-

tige Zentrum, in dem seit Generationen

jeder jeden kannte. In diese kleine, zu-

mindest nach außen heile und gutnach-

barschaftliche Welt waren auch die Brüh-

ler Juden fest integriert, wenn auch –

zumeist noch eher diffus – deren „An-

derssein“ durchaus Thema war: „Jüdde

wore Jüdde, die wore anders!“, brachte

ein Zeitzeuge die damalige kleinstädti-

sche Sicht der Dinge auf den Punkt. Wie

schnell sich eine solche eher alltägliche

Feststellung zur Abwertung der Juden als

„Menschen zweiter Klasse“ und als „ras-

sisch Minderwertige“ und damit ins Ag-

gressiv-Bösartige wandeln konnte, sollte

sich dann ab Februar 1933 auch in Brühl

erweisen.

Bis dahin war der Nationalsozialismus

in Brühl auf geringe Resonanz gestoßen.

1925 hatte es zwar eine erste große NS-Ver-

anstaltung im Ort gegeben, doch entwi-

ckelte sich hieraus offenbar keinerlei mess-

barer Einfluss auf das kommunale Leben,

was in den überaus bescheidenen Wahler-

gebnissen für die NSDAP zum Ausdruck

kam: Bei der Reichstagswahl 1924 war sie

lediglich von 36 Brühlern gewählt worden,

vier Jahre später dann von 141, und bei den

Kommunalwahlen des Jahres 1929 erhielt

die Partei lediglich zwei Prozent der Stim-

men. Selbst aus den dramatischen Auswir-

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Der Brühler Marktplatz,

um 1931/32

Die Kleinstadt

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