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Orientierungsgröße, was auch in den Er-

gebnissen der von den gerade an die

Macht gelangten Nationalsozialisten um-

gehend anberaumten Reichs- und Kom-

munalwahlen am 5. und 12. März 1933

deutlichen Niederschlag fand. In Brühl

erzielte das katholische Zentrum bei der

Reichstagswahl 43,7 Prozent, während für

die NSDAP lediglich 19,2 Prozent der

Wahlberechtigten stimmten. Bedenkt

man, dass die NSDAP zwar auch reichs-

weit die angestrebte absolute Mehrheit

verfehlte, aber dennoch immerhin 43,9

Prozent erreichte, lässt sich das Ausmaß

der Enttäuschung der Brühler NS-Prota-

gonisten ermessen. Das Ergebnis der eine

Woche später stattgefundenen Kommu-

nalwahl zementierte dieses in den katho-

lischen rheinischen Kleinstädten damals

häufiger anzutreffende lokale Kräftever-

hältnis: 46,5 Prozent an Zentrumswäh-

lern standen lediglich 21,3 Prozent NS-

Sympathisanten gegenüber, womit die

katholische Partei 15 der insgesamt 30

Sitze im Stadtrat gewann.

Parlamentarische Mehrheiten und dem

neuen Regime nicht genehme politische

Meinungsäußerungen hatten jedoch in

Brühl wie andernorts im Reichsgebiet

längst jeden Wert verloren. Auf der zwei-

felhaften Grundlage der Notverordnung

zum „Schutz von Volk und Staat“ vom

28. Februar als Reaktion auf den Reichs-

tagsbrand und des „Ermächtigungsgeset-

zes“ vom 24. März 1933 verfügten die

neue Regierung und die NS-Bewegung

über nahezu unbegrenzte Möglichkeiten

zur brutal durchgeführten Sicherung ihrer

Macht. So setzte ab März 1933 auch in

Brühl eine systematische Verfolgung von

NS-Gegnern ein. Bereits in der Nacht

nach der Kommunalwahl wurden führen-

de Mitglieder der SPD verhaftet und über

Wochen ohne richterlichen Beschluss

in „Schutzhaft“ gehalten und misshandelt.

Die Kommunisten, schon zuvor praktisch

„vogelfrei“ geworden, wurden auch hier

rücksichtslos verfolgt und versuchten, sich

in die Illegalität zu retten. Es gab willkür-

liche Hausdurchsuchungen und Beschlag-

nahmungen – etwa jene des Jugendheims

der Brühler Sozialistischen Arbeiterjugend

(SAJ), das kurzerhand von der örtlichen

Hitlerjugend übernommen wurde.

Unter solchen Umständen konnte die

erste Sitzung des neu gewählten Brühler

Der Reichstagsbrand und seine Folgen

Am 27. Februar 1933 brannte das Reichstagsgebäude in Berlin. Obwohl mit hoher Wahrschein­

lichkeit der niederländische Linksanarchist Marinus van der Lubbe das Gebäude als Alleintäter

in Flammen gesetzt hatte, ließ Hermann Göring als kommissarischer preußischer Innenminister

noch in der Brandnacht verbreiten, der Beginn eines „kommunistischen Aufstandsversuches“

stehe unmittelbar bevor.

Das Ereignis veränderte schlagartig die innenpolitische Lage im Reichsgebiet. Der von Hitler so

bezeichnete „bolschewistische Terrorakt“ wurde genutzt, um den politischen Ausnahmezustand

auszurufen und wesentliche Grundrechte der Weimarer Verfassung „legal“ außer Kraft zu setzen,

um so unmittelbar vor der auf den 5. März 1933 terminierten Reichstagswahl politische Gegner

hemmungslos verfolgen zu können. Das geschah durch die auch als „Reichstagsbrandverord­

nung“ bekannt gewordene „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ vom 28. Februar 1933.

Den neuen Machthabern missliebige Personen konnten künftig ohne Anklage und Beweise will­

kürlich in „Schutzhaft“ genommen werden. Außerdem wurde das Recht auf Versammlungs- und

Meinungsfreiheit wesentlich eingeschränkt, indem beispielsweise regimekritische Zeitungen ver­

boten werden konnten. Allein im März und April 1933 wurden auf dieser „Gesetzes“-Grundlage

rund 35 000 Personen in „Schutzhaft“ genommen und waren ohne jeden Rechtsbeistand staat­

licher Willkür ausgeliefert. Die „Reichstagsbrandverordnung“ bedeutete somit einen wichtigen

Schritt auf dem Weg zur Errichtung der NS-Herrschaft.

Die Kleinstadt

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