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Der „Tag von Potsdam“ und das „Ermächtigungsgesetz“

Am 21. März 1933 wurde vor und in der Potsdamer Garnisonskirche die Eröffnung des am

5. März 1933 gewählten Reichstages von den Nationalsozialisten propagandistisch als großer

Staatsakt inszeniert. Datum, Ort und Ablauf waren sehr bewusst gewählt und von hoher Symbol­

kraft: Auf den Tag genau vor 62 Jahren war der erste Reichstag im soeben gegründeten Deut­

schen Kaiserreich gewählt worden. Die Residenzstadt Potsdam galt zudem als Zentrum von

preußischer Tradition und Königtum. Sie war nun festlich geschmückt mit den kaiserlichen

schwarz-weiß-roten und mit Hakenkreuzfahnen, SA und SS marschierten gemeinsam mit der

Reichswehr durch die Straßen. Nach katholischen und evangelischen Festgottesdiensten zogen

die Abgeordneten (ohne jene von SPD und KPD) zur Garnisonskirche, wo die Könige Friedrich

Wilhelm I. und Friedrich der Große begraben lagen. Vor ihrem Portal reichten sich der greise,

sehr populäre Reichspräsident Paul von Hindenburg in Galauniform und Reichskanzler Adolf Hitler,

demonstrativ in Zivil und mit tiefer, ehrerbietiger Verbeugung, die Hand: Der ehemalige kaiserliche

Generalfeldmarschall begrüßte den einfachen Gefreiten des Weltkriegs, politische und soziale

Konflikte schienen überwunden, preußische Tradition und Geschichte – so sollte die Inszenierung

zeigen – vereinten sich mit der neuen NS-Bewegung.

Zwei Tage später, am 23. März 1933, schaffte sich der Reichstag mit seiner Zustimmung zum

„Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ – bekannter als „Ermächtigungsgesetz“ –

quasi selbst ab. Das Gesetz gab der NS-Regierung die Möglichkeit, künftig ohne Zustimmung

von Reichstag und Reichsrat sowie ohne Gegenzeichnung des Reichspräsidenten beliebig

Gesetze zu erlassen. Weil das Gesetz eine Zweidrittelmehrheit benötigte, setzte Hitler alles daran,

mittels zahlreicher Zusicherungen die Parteien der bürgerlichen Mitte zur Zustimmung zu be­

wegen. Lediglich die Abgeordneten der SPD ließen sich weder durch Versprechungen noch

Drohgebärden einschüchtern und stimmten gegen die Selbstentmachtung des Parlaments.

Die 81 Abgeordneten der KPD konnten erst gar nicht an der Abstimmung teilnehmen, weil ihre

Mandate auf Grundlage der „Reichstagsbrandverordnung“ bereits am 8. März 1933 annulliert

worden waren.

forderte der Bürgermeister in der Presse

dazu auf, dass man im Ort „wie immer

auch dieses Mal in der Bekundung vater-

ländischer Gesinnung nicht zurückstehen“

dürfe, weshalb sich „an diesem Abend

über alle Grenzen der Klassenunterschie-

de, der Parteizugehörigkeit und der Kon-

fession hinaus“ sämtliche Einwohner „zu

einer eindrucksvollen Kundgebung zu-

sammenfinden“ und „durch Beflaggen

und Illuminieren der Häuser dem Fackel-

zug einen festlichen Rahmen geben“ soll-

ten. Entsprechend beschlossen die sich

tags zuvor zur vorbereitenden Bespre-

chung im Hotel „Belvedere“ zusammenge-

fundenen Vertreter der ortsansässigen

Vereine, dass der anstehende Festtag zu ei-

nem „Ausdruck der gemeinsamen Freude

über die wiedergewonnene Einigkeit“ wer-

den sollte. Ihre Teilnahme sagten dabei

keineswegs nur rechtsgerichtete Organisa-

tionen oder Vereine zu, sondern unter an-

deren auch die katholische St. Sebastianus

Schützenbruderschaft, die Freiwillige Feu-

erwehr, sämtliche Volksschulen, das Gym-

nasium und die Berufsschule, offenbar

alle katholischen und evangelischen Ver-

eine,

das

Zentrum,

die

lokalen

Handwerkerinnungen und sogar die

Geistlichen beider christlichen Konfessio-

nen. „Alle ohne Unterschied des Bekennt-

nisses, des Berufs und der politischen

Überzeugung wollen wir die Feier der va-

terländischen Einigung miterleben und

uns aus vollem Herzen beteiligen“, hieß es

in der

Brühler Zeitung

. Die Kundgebung,

so formulierte es das katholische Pfarramt,

sei nämlich keine parteipolitische, son-

dern eine „vaterländische“. Der Erfolg und

damit wohl auch die seitens des NS-Regi-

mes intendierte Wirkung fielen entspre-

chend aus. Die ohnehin schon hohen Er-

Die Kleinstadt

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