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Reichsarbeitsdienst

An seinem letzten Schultag erhielt Gün-

ther Roos zugleich auch seinen Einberu-

fungsbefehl zum Arbeitsdienst nach

Kamperfehn im Emsland. „Den Kopf lasse

ich nicht hängen. Mit frischem Mut ran

an den RAD“, vertraute er am 25. Juni

seinem Tagebuch an, um dann fünf Tage

später, unmittelbar nachdem Freundin

Ruth zu einem längeren BDM-Einsatz

nach Beuthen abgereist war, zu ergänzen:

„Ich bin mir jetzt bewusst, dass heute für

mich ein neuer Abschnitt beginnt. Mit

Ruth ist die schöne, sorglose Zeit der Ju-

gend weggefahren. Jetzt steht RAD und

Militär mit seinen Härten vor mir. Ich

nehme mir aber vor, hier etwas zu leisten,

es zu etwas zu bringen, für Deutschland,

für meinen Führer!“

Nachdem er am 3. Juli noch seinen

Ausstand als Führer der Brühler Hitlerju-

gend gegeben und zu diesem Anlass „Ab-

schiedsbier gestiftet“ hatte, machte sich

Günther am 8. Juli auf den Weg gen Nor-

den. „Ich bin jetzt Arbeitsmann Roos“,

lautet nach mehr als einwöchiger Pause

am 12. Juli der erste Tagebucheintrag aus

der neuen Lebensphase. Er habe sich, so

berichtete er angesichts seiner gegenteili-

gen Erfahrungen in Germeter augen-

scheinlich selbst überrascht, „hier schon

ganz gut eingelebt“: „Damals wusste ich

doch, dass ich nach drei Wochen wieder

zu Hause wäre, wogegen ich doch jetzt

überhaupt nicht weiß, ob ich überhaupt

noch einmal Brühl wiedersehe.“ Diese

dunkle Zukunftsperspektive beruhte auf

der – wahrscheinlich nicht ernst gemein-

ten – Ankündigung eines Arbeitsdienst-

führers, „dass wir nur 3 bis 4 Wochen

ausgebildet werden und dann abrücken

in den Einsatz“. „Toll, was? Ob nach

Russland?“, teilte Günther seiner sicher-

lich alles andere als erfreuten Mutter be-

reits nach drei Tagen im RAD-Lager mit.

Seinen streng geregelten Dienst absol-

vierte er jedenfalls von Beginn an „mit

Lust“: „Er ist für mich eine große Freude.“

Auch Verschärfungen im Tagesablauf

oder Schikanen der Vorgesetzten nahm

Günther nun zumeist klaglos und offen-

sichtlich auch ohne inneren Groll hin.

„Ab morgen ist um 5 Uhr Wecken. Dem-

nächst fängt der Dienst bestimmt schon

umMitternacht an. Na, egal, ich fasse alles

von der heiteren Seite auf. Nur lächeln“,

schrieb er etwa am 19. Juli. Das gelang

ihm offenbar und er verwuchs im Lauf

der Zeit – im Übrigen in schroffem Ge-

gensatz zu seinem 1939 unter den RAD-

Bedingungen schwer leidenden Bruder

Gustav – ganz mit den im Lager gegebe-

nen Bedingungen, was er in seinem Ein-

trag vom 25. Juli beispielhaft zum Aus-

druck brachte: „Heute Morgen war Ord-

nungsdienst. Gegen Ende sind wir dann

nach Elisabethfehn marschiert. Wenn

mir dann die Füße schmerzen und ich

trotzdem mitgehe, wenn die Spaten blit-

zen, alles dieselbe Uniform anhat, und

wenn dann in den Sturm gesungen wird

‚Deutschland, Vaterland, wir kommen

schon‘, dann habe ich immer ein seltsa-

mes, festliches Gefühl, mit dabei sein zu

dürfen.“ Und weitere vier Tage später:

„Heute vor drei Wochen. Was ist in dieser

Zeit doch alles schon geschehen. Ein an-

derer Mensch bin ich geworden. Ja, jetzt

bin ich ein richtiger Arbeitsdienstmann.

Trotzdem geht es mir noch gut.“

Rückblickend kommentierte Günther

Roos, dass ihm die Eingewöhnung in den

RAD-Alltag deshalb leichtgefallen sei,

„weil ich mich mit dem Unvermeidlichen

abgefunden hatte und versuchte, das Bes-

te daraus zu machen“. Hilfreich sei dabei

aber auch der Umstand gewesen, „dass

das ganze Lager fast nur aus Abiturien-

ten“ bestanden hätte. Jedenfalls bereitete

es ihm nun offenbar keine Schwierigkei-

ten mehr, sich in vorgegebene Hierarchi-

en einzufügen. Das in Germeter noch so

heftig beklagte Fehlen von Freiraum

empfand er nun nicht mehr als störend:

„Die Vorgesetzten sind prima. Streng,

aber gerecht. Wenn alles in Ordnung ist,

sind sie die besten Kameraden.“ Tatsäch-

lich entwickelte sich der 18-Jährige zu ei-

ner Art Vorzeige-„Arbeitsmann“, der sei-

ne Aufgaben nicht nur pflichtgemäß er-

füllte, sondern dabei ausgesprochene

Genugtuung empfand: „Heute Morgen

1942: „Macht will ich haben! Alle sollen mich lieben oder fürchten.“

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1942