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lernt und bedauern, ihn schon nach so

kurzer Zeit verloren zu haben“, schrieb

der ihm vorgesetzte Offizier am 4. No-

vember an Familie Roos, um dann mit

der üblichen Floskel zu enden: „Möge die

Gewissheit, dass Ihr Sohn sein Leben für

die Größe und den Bestand von Volk,

Führer und Reich eingesetzt hat, Ihnen

ein Trost in der Ungewissheit und dem

schweren Leid sein, das Sie betroffen hat.“

Es dauerte bis zum 28. November, bis

Günther Nachricht von dem für ihn un-

vorstellbaren Ereignis erhielt: „Am Don-

nerstag bekam ich das Namenstagpaket

mit einem Brief von Mutter, der das

Schlimmste vermuten ließ. Habe nach

Hause depeschiert, was los sei, und erhalte

als Antwort: Gustav vermisst. Ich kann es

noch nicht glauben. Gustav soll nicht mehr

leben? Kann es nicht glauben, denn ehrlich

gesagt, ich hoffe, aber ich glaube nicht dar-

an, dass er noch lebt. Mein Gott, führe ihn

wieder heim. Mehr kann ich nicht, als Gott

zu bitten. Heute war ich draußen. In der

Anlage an der Kaserne habe ich laut ge-

heult. Richtig lachen kann ich nicht mehr

und muss immer an Gustav denken. Gus-

tav vermisst. Herr, führe ihn heim.“

Am nächsten Tag war die Verzweiflung,

die ihn ergriffen hatte, eher noch gewach-

sen: „Gustav! Was ist mit ihm geschehen?

Gustav! Er sollte nicht mehr sein? Unmög-

lich! Wie habe ich mich immer mit ihm

verstanden! Wie hat er mich ergänzt! Das

weiß ich. Er hat mich entwickelt. Meine

ganze Weltanschauung habe ich nur ihm

zu verdanken. Der soll nicht mehr sein?

Der soll nicht mehr sein, der meine An-

schauungen kritisierte und mich auf den

rechten Weg brachte? Unmöglich. Die

herrlichen Stunden zu Hause, wenn wir

disputierten, sollen nicht mehr wieder-

kommen? Vorbei? Nein!! Das darf nicht

sein!!! Gustav muss leben! Er muss!! Und

Mutter! Wie muss sie leiden. Hier muss

und kann ich noch handeln. Für sie gibt es

ein Mittel: der Christengott. Ihr kann er

helfen. Sie darin zu festigen, ist jetzt meine

Aufgabe, dass sie gut diesen Schicksals-

schlag überwindet. Mir aber wird Gustav

ewig vorschweben, göttergleich. Und so

will ich leben, dass ich mich im-

mer frage: Kannst du das deinem

Bruder gegenüber verantworten?

Sein Kampf, denn tot darf er nicht

und wird er für mich nie sein, soll

in meinem Leben fortgesetzt wer-

den. In meinem Leben für

Deutschland, für das sich Gustav

einsetzte. Deutschland – Gustav!“

Tatsächlich schrieb Günther

umgehend an seine Mutter, um sie zu

trösten und ihr Kraft zu geben. „Rege

Dich nicht auf, denn ich habe heute die

Gewissheit, dass Gustav noch lebt und

dass ich ihn wiedersehen werde“, teilt er ihr

mit und gab ihr den Rat, „Zerstreuung“ zu

suchen: „Immer heraus aus der engen

Wohnung und nie alleine bleiben. Ziehe

zur Oma und reise zur Tante Agnes, nur

bleibe nicht alleine! Und bete! Du kannst

es noch. Darum bitte Gott. Er wird Dir

bestimmt helfen. Du musst ihm nur das

Vertrauen schenken und fest daran glau-

ben. Dass er Dir hilft und Dir Gustav wie-

derbringt.“

Zugleich aber zog Günther Schlüsse

aus dem Verlust des Bruders, die seine

Mutter kaum getröstet, sondern zusätz-

lich beunruhigt haben dürften: „Aber

glaube nicht, dass ich das Leben beim

Militär jetzt leid sei. Im Gegenteil, ich

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214/

„Zurück – Empfänger vermisst“:

Am 29. Oktober 1942, als

Elisabeth Roos diesen Brief

abschickte, machte sich ihr

Sohn Gustav auf den Weg zu

einem Einsatz, von dem er

nicht zurückkehrte.

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Ein letzter Glückwunsch

von Gustav an seine Mutter,

Oktober 1942

1942: „Macht will ich haben! Alle sollen mich lieben oder fürchten.“

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1942