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Rheinwiesenlager

In den letzten Monaten des Krieges gerieten immer mehr Wehrmachtsoldaten in alliierte Kriegsgefangen-

schaft. Nach der deutschen Kapitulation befanden sich schließlich 3,4 Millionen von ihnen allein in US-

Gewahrsam, die es nun unterzubringen und zu versorgen galt. Dazu wurden von April bis Juni 1945 entlang

des Rheins auf offener Fläche etwa zwanzig Kriegsgefangenenlager, die sogenannten Rheinwiesenlager,

errichtet, deren Areal mit Stacheldraht jeweils in zehn bis zwanzig Camps („cages“) unterteilt wurde, die

ihrerseits Platz für 5000 bis 10000 Häftlinge boten. Da diese ihre soldatische Feldausrüstung zuvor hatten

abgeben müssen, waren sie gezwungen, sich auf dem ungeschützten Gelände Erdlöcher als Schlaf­

stätten zu graben. Die Organisation der Lager wurde von der hiermit beauftragten, allerdings völlig über­

forderten US-Division den deutschen Gefangenen überlassen, sodass Lagerleiter, Lagerpolizei, Ärzte, Köche,

Arbeitskommandos und weitere Funktionen von Deutschen gestellt wurden.

Die Ernährung und die hygienischen Verhältnisse in diesen als „Lager“ bezeichneten eingezäunten ver-

schlammten Wiesen, auf denen die Gefangenen unter freiem Himmel lebten, waren katastrophal und

besserten sich nur langsam. Erst im Juni gab es ausreichende Essensportionen. Dreck, Nässe und Unter­

ernährung führten zu Krankheiten und zahlreichen Todesfällen. Die Lager mit der höchsten Sterblichkeit

waren jene in Bad Kreuznach, Sinzig, Rheinberg, Heidesheim, Wickrathberg und Büderich. In diesen

sechs Lagern kamen rund 5 000 der 500 000 Insassen ums Leben. Insgesamt geht die Forschung von

maximal 10 000 Toten in den Rheinwiesenlagern aus.

Der größte Teil der Gefangenen, etwa Angehörige des Volkssturms und der Hitlerjugend, wurde bereits nach

kurzer Zeit entlassen. Weil Frankreich 1,75 Millionen deutsche Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter einsetzen

wollte, wurden die Lager im Juli 1945 dann an die Franzosen übergeben, die die arbeitsfähigen Kriegs­

gefangenen anschließend nach Frankreich überführten. Bis etwa Ende September 1945 waren dann sämtliche

Rheinwiesenlager aufgelöst.

eine Welt war für mich zusammengebro-

chen.“ Am 23. April ging es für ihn dann

auf schweren US-Trucks weiter nach Re-

magen-Sinzig, wo er am großen Rhein-

wiesenlager ausgeladen wurde. Als er

dort die Frage „Do you speak english?“

bejahte, wurde er kurzerhand zum „Ca-

ge-Kommandanten“ ernannt. An die – zu

seinem Glück nur wenigen – Tage in Sin-

zig erinnerte er sich zeitlebens mit Schre-

cken zurück:

„Nach und nach entlud ein Truck nach

dem anderen seine Fracht an Gefange-

nen, darunter Schwerverwundete und

frisch Amputierte aus einem Lazarett in

Brilon. Und es herrschte ein Sauwetter.

Schnee wechselte mit Hagel, Regen und

Sonnenschein ab. Dazu pfiff ein eisiger

Wind durch das Rheintal. Wie eine

Hammelherde rotteten wir uns in der

Nacht zusammen, damit einer den an-

dern wenigstens etwas vor dem kalten

Wind schützte. Nach und nach verwan-

delte sich die Wiese in eine fußhohe

Schlammschicht. Am nächsten Morgen

legten wir mehr als zehn in der Nacht

verstorbene Kameraden den Amis an das

Tor des Cages. Dann schnappte ich mir

zehn kräftige Feldwebel. Mit diesen

durchkämmte ich das Lager. Wer noch

eine Zeltbahn besaß, dem nahmen wir

sie ab, damit wir wenigstens den Schwer-

verwundeten eine provisorische Unter-

kunft besorgen konnten. Dann gab’s

Wasser. Ein Tankwagen mit bräunlichem

Rheinwasser, das mit Chlor versetzt war,

stand bereit. Fast sechs Stunden stand

ich dann für einen Becher Wasser an.

Und dann brach die zweite, endlose

Nacht an, in der wir uns wieder in Pulks

vor der Kälte der Nacht zu schützen ver-

suchten.“

1945: „Man muss schon fanatisch sein, und das bin ich ja, Gott sei Dank.“

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