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Versorgungslage und Hunger

Die Versorgungslage in der unmittelbaren Nachkriegszeit kann als politisches und soziales

Problem kaum groß genug eingeschätzt werden. Dabei sollte jedoch nicht außer Acht

bleiben, dass derartige Engpässe nicht erst mit Kriegsende auftraten, sondern die

Menschen schon zu Kriegszeiten belastet hatten. Die Lage spitzte sich nach der deut-

schen Kapitulation aber stetig und schließlich dramatisch zu.

Es war insbesondere der Mangel an Kohle und Lebensmitteln, der nicht nur die Besatzungs-

politik der Alliierten nachhaltig beeinflusste, sondern naturgemäß weitgehende Aus­

wirkungen auf die Stimmungslage der Bevölkerung hatte, die mit Zuspitzung der Krise zu-

sehends in Hoffnungslosigkeit und apathische Verzweiflung verfiel – Ausgangsbedingungen,

die der Herausbildung eines demokratischen Bewusstseins und einem entsprechenden

politischen Engagement diametral entgegenstanden. Der Hunger wurde nach Beobachtun-

gen der zeitgenössischen deutschen Presse zum „schlimmsten Diktator“.

Immer neue Rationskürzungen führten zu immer größerer Unruhe insbesondere in der

Arbeiterschaft, aus der im Rheinland erstmals im März 1946 der Ruf nach Arbeitsnieder-

legungen laut wurde. Das „arbeitende Volk“, so formulierten es zu dieser Zeit etwa Kölner

Arbeitervertreter, wolle „aus dem Elend heraus“. Man sei bereit zur Wiedergutmachung

und wolle mit „allen Völkern in Frieden leben“, doch sei dazu eine Ernährungsbasis vonnöten,

„die die Leistungsfähigkeit der Arbeiter erhält und sie vor dem größten Hunger schützt“.

Angesichts des sich weiter verschärfenden Mangels an Lebensmitteln reihte sich Krisen-

situation an Krisensituation, was sogar den Kölner Erzbischof Frings zur Jahreswende

1946/47 dazu animierte, den Mundraub zur Deckung des dringendsten Eigenbedarfs

zu legitimieren; das „Fringsen“ war damit geboren und galt als erlaubt. Doch das reichte

keinesfalls aus. Im Herbst 1946 kam es daher zu ersten Streiks, denen aufgrund des

ungewöhnlich strengen Winters 1946/47 und der anschließenden Dürre im Sommer 1947

schließlich deutschlandweit Hungerdemonstrationen folgten.

Wenn Hunger und andere Mangelerscheinungen auch kaum darstellbar sind, weil eine rein

quantitative Erfassung von Kalorienzahlen noch keine Vorstellung von den unmittelbaren

Auswirkungen auf die von der Notsituation betroffenen Bevölkerungskreise vermittelt,

ist doch davon auszugehen, dass das Denken und Handeln der Menschen von den

ungeheuer schweren und bedrückenden Lebensverhältnissen der ersten Nachkriegsjahre

stark beeinflusst wurden, was auf alle Bereiche des politischen und gesellschaftlichen

Lebens ausstrahlte.

sich über die in Deutschland 1945 wieder

neu entstandenen Gewerkschaften. Deren

Vertreter seien, kaum dass er seine Arbeit

aufgenommen habe, in einer Art und

Weise an ihn herangetreten, die ihm

überhaupt nicht gepasst habe: „Sie for-

derten unter Druck den Beitritt. Ist das

Demokratie? Jetzt erst recht nicht, zumal

ich ja überhaupt noch nicht weiß, was die

Grundlagen dieser Organisation sind.“

Tatsächlich hatte Günther nie erfahren,

was Funktion und Aufgaben von Ge-

werkschaften sind, da diese bereits am

2. Mai 1933 von den Nationalsozialisten

aufgelöst worden waren.

Bedrohlicher für seine frisch inten­

sivierte Suche nach Orientierung dürfte

aber zum anderen die von ihm so be-

zeichnete „Katastrophenstimmung“ ge-

wesen sein, die er unter seinen Arbeits-

kollegen vorfand, weil es gerade wieder

neue Kürzungen der Lebensmittelratio-

Erste Nachkriegsjahre: „Mein Ziel ist der Aufbau einer Existenz.“

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Erste Nach-

kriegsjahre