Table of Contents Table of Contents
Previous Page  27 / 300 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 27 / 300 Next Page
Page Background

Nationalpolitische Erziehung und nationalpolitische Lehrgänge

Am 21. Juli 1933 verpflichtete der Oberpräsident der Rheinprovinz die ihm unterstellten höheren

Schulen, Schüler und Schülerinnen künftig „zu selbstlosen, pflichttreuen, opferwilligen, vaterlands­

liebenden Deutschen zu erziehen“. Das, so kommentierte die Tagespresse, sei „in der Tat das

Hochziel der Erziehungsarbeit“, wie es Adolf Hitler selbst bereits in

Mein Kampf

umrissen habe.

Diese Aufgabe konnte die Schule nach Auffassung des Oberpräsidenten nur erfüllen, „wenn der

gesamte Unterricht nach der geschichtlichen Lage der Gegenwart ausgerichtet“ werde, wobei ins­

besondere Religion, Deutsch, Geschichte, Erdkunde, Biologie und Leibesübungen als jene Fächer

gesehen wurden, „in denen diese Ausrichtung vor allem zu erfolgen“ habe. Konkret wurde ange­

ordnet, künftig alle 14 Tage Schulungsstunden einzurichten, „in denen mit dem Gedanken der natio­

nalen Erhebung aufs innigste verwachsene und den neuen deutschen Staat aus tiefstem Herzen

bejahende Lehrer oder Schüler einen Vortrag halten sollen über besonders brennende Tagesfragen“

– bezeichnenderweise ohne anschließende Diskussion. Auf diese Weise sollten sich Lehrer und

Schüler „in den nationalsozialistischen Geist und in die nationalsozialistische Anschauungs- und

Gedankenwelt einleben“.

Da das bisherige Schulsystem auf die vom NS-Regime propagierten neuen Erziehungsformen

(„Lager und Kolonne“) noch nicht vorbereitet war, ordnete das preußische Erziehungsministerium

am 4. Oktober 1933 die Durchführung von bis zu dreiwöchigen „nationalpolitischen Lehrgängen“

an, die für Jungen einmal pro Jahr, für Mädchen hingegen nur einmal während der Oberstufenzeit

durchzuführen waren. Sämtliche Primaner, ab 1934 dann auch die Sekundaner, mussten an diesen

zumeist in Schullandheimen oder Jugendherbergen abgehaltenen Veranstaltungen teilnehmen,

in deren Rahmen auch der Hitlerjugend erhebliche Rechte eingeräumt wurden. Die ersten dieser

Lehrgänge fanden noch im Dezember 1933 statt.

Lernziele waren nicht etwa Selbstbestimmung und Eigenverantwortung der Schüler, sondern

„Führertum und Kameradschaft“, wobei Ordnung und Disziplin, Wehrertüchtigung und Einübung sol­

datischer Tugenden sowie Gehorsam und Befehlsbefolgung den streng reglementierten Lager­

alltag bestimmen sollten. Der Oberpräsident der Rheinprovinz formulierte es so: „Mancher Junge

und manches Mädchen haben erst in diesen Wochen gelernt, sich in eine Gemeinschaft als dienen­

des Glied einzufügen.“ Hierzu diente ein strenger „Dienstplan“, in dem Wehrerziehung – etwa in

Form von Geländeübungen, Ausbildung an Schusswaffen oder Zielwerfen mit Handgranaten­

attrappen – und ideologische Indoktrination eine herausragende Rolle spielten. Auf diese Weise

sollte den Heranwachsenden der Nationalsozialismus nicht nur als Weltanschauung, sondern als

Lebensweise vermittelt werden. Die Schüler hatten zu „funktionieren“, denn sie wurden permanent

beobachtet und abschließend einzeln beurteilt, was den Anpassungsdruck erhöhte, denn das

Abitur war nahe und man hoffte auf die Zuweisung eines Studienplatzes oder einer Ausbildungsstelle.

Wer nicht bereit war, die geforderte „Kameradschaft“ an den Tag zu legen, hatte auch mit unmittel­

baren Sanktionen zu rechnen, über die in aller Offenheit – wie etwa in der NS-Zeitung

West­

deutscher Beobachter

– berichtet wurde. Wer sie nicht kenne, so hieß es dort unverblümt, dem

werde sie „beigebracht“. „Und aus manchen sind gewisse Zicken ausgeprügelt worden.“

Im Dezember 1936 wurden die Lehrgänge durch ministerielle Verfügung eingestellt, weil Reichs­

jugendführung und NS-Lehrerbund ihre Kompetenzen im weltanschaulichen Bereich beeinträch­

tigt sahen.

Die Kleinstadt

25