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„beschissen“, um dann jedoch zu ergän-

zen: „Es muss aber klappen. Ich will nicht

noch länger warten. Ich will doch meine

Inge haben!“ Dieses Ausharren zwischen

Bangen und Hoffen bestimmte die fol-

genden Monate, ohne dass positive Bewe-

gung in die Dinge gekommen wäre. Gün-

ther Roos aber wollte nicht mehr resignie-

ren, wie er Mitte März nochmals betonte:

„Viel Hoffnung habe ich nicht und trotz-

dem klammere ich mich verzweifelt an

den Strohhalm. Es muss werden!“ Das

bewahrte ihn angesichts immer neuer

Absagen nicht vor großen Stimmungs-

schwankungen. Ebenfalls noch ihm März

hieß es dann plötzlich: „Ich habe die

Schnauze restlos voll. Mit Studium also

Essig.“ Er war angesichts der Beziehung

zu Inge und der für ihn daraus resultie-

renden Notwendigkeit einer beruflichen

Perspektive immer weniger bereit, Ge-

duld an den Tag zu legen. „Was jetzt?!??

Nochmal ½ Jahr warten und nochmal

enttäuscht werden und nochmal und

nochmal? Nein, dazu habe ich keine Lust

und keine Nerven – und keine Zeit. Wo

aber sonst unterkommen? Ich weiß es

nicht. Ich muss jetzt zuerst einmal sortie-

ren, es hat mich nämlich ziemlich groggy

gemacht – wenn ich es auch nicht zuge-

ben will. Scheiße auf das ganze Leben.“

Auch die KPD, das musste Günther

schnell erkennen, konnte ihm in dieser

Situation nicht helfen. Er sah „sehr skep-

tisch in die Zukunft“, hatte „die Nase ge-

strichen voll“ und befand sich im April

„in einer Stimmung wie nie“. „23 Jahre alt

und noch immer nichts!“, notierte er

dann anlässlich seines Geburtstags An-

fang Juni. „Es ist glatt zum Verzweifeln.

Und keine Aussicht. Noch alles so trüb

und ungewiss wie vor Jahr und Tag. So

wartet man und wartet man, und die

kostbare, unwiederbringliche Zeit ver-

streicht nutz- und sinnlos.“ Angesichts

einer solch eingetrübten, nicht selten ver-

zweifelten Stimmung war es erstaunlich,

dass Günther – zumindest in seinem Tage­

buch – keinerlei Zuflucht mehr in der

1945/46 ja noch so hochgehaltenen und

gelobten näheren Vergangenheit suchte.

Das NS-Regime und seine Ideologie boten

ihm nun offenbar keine Lösungsansätze

mehr, die ihm weiterzuhelfen verspra-

chen. Das bedeutete aber nicht, dass sie

für ihn aufgehört hatten zu existieren.

Als er Ende September 1947 „zum Jahres-

gedächtnis“ erneut nach Kemme fuhr, ließ

er erneut „die Gedanken an damals zu-

rückkehren“: „Welch glückliche, sorglose

Zeit! Erst drei Jahre her und doch so un-

endlich weit entfernt. So unendlich weit.

Es war eine richtige Reise in die Vergan-

genheit.“ Im gleichen Atemzug betonte er:

„Herrgott noch mal, man sollte eigentlich

doch nicht in die Vergangenheit reisen,

wenn sie so schön und die Gegenwart so

trost- und hoffnungslos ist.“ Auch wenn

ein Studium in immer weitere Ferne

rückte, gab es immerhin eine Perspektive:

„Es ist ein Glück, dass ich meine Inge

habe. Morgen werde ich sie wiedersehen.“

Der Wandel in seinem Denken kam

auch fünf Tage später deutlich zum Aus-

druck, als Günther seine persönliche und

die Weltlage beklagte: „Wann kann ich

endlich einmal mit dem Studium begin-

nen? Es wird Herbst und die Stimmung

sinkt. Scheiße, alles Scheiße. Man mun-

kelt wieder viel vom Krieg und es stinkt

tatsächlich schwer. Hoffentlich geht’s nur

gut. Ich würde ja gern mitmachen, aber

der Verstand rät dringendst ab.“ Er, der

vor nicht allzu langer Zeit den Krieg noch

als „Vater aller Dinge“ bezeichnet und

sich als zum Soldatentum geboren gese-

hen hatte, war angesichts der herbeige-

sehnten festen Bindung mit Inge nun

nicht mehr bereit, das zivile Leben aufzu-

geben. Dieses wollte ihm aber, wie er

Ende Oktober 1947 nochmals zu Papier

brachte, trotz aller Bemühungen einfach

keine Chance bieten. Er und Inge seien

„noch genauso verliebt und glücklich“ wie

beim ersten Kuss ein Jahr zuvor, „viel-

leicht noch doller. Und so hoffnungslos.“

Von der Technischen Universität Aachen

war gerade eine neuerliche „vernichtende

Mitteilung“ eingetroffen, wonach Gün-

ther auf einer Liste von Studiennach-

rückern auf Rang 216 stand, „d. h., wenn

alles so bleibt wie jetzt, so kann ich viel-

Erste Nachkriegsjahre: „Mein Ziel ist der Aufbau einer Existenz.“

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